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Tücken tatsächlicher Verständigung

 

Wenn sich zwei Personen uneins sind, kommt es oftmals zu dem, was man gemeinhin einen Vergleich nennt. Das Steuerrecht kennt dieses Instrument nicht. Es würde ja auch dem gewünschten Unterordnungsverhältnis des Bürgers unter die staatliche Allmacht widersprechen. Um trotzdem in Situationen, die einer vergleichsweisen Regelung bedürfen, zu helfen, hat die steuerliche Rechtspraxis das Institut der tatsächlichen Verständigung (tV) entwickelt. Das ist nichts anderes, als ein Vergleich, darf nur nicht so genannt werden. Die tV soll die Möglichkeit eröffnen, bei unklaren Sachverhalten eine Einigung zwischen Verwaltung und Steuerpflichtigem herbeizuführen. Hier liegt auch der Einstieg in das Verständnis der tV: man einigt sich über unklare Sachverhalte, also Tatsachenfragen, die in der Vergangenheit liegen und schwer oder gar nicht aufzuklären sind. Es ist keine Einigung über Rechtsfragen. Die rechtlichen Konsequenzen aus der Tatsachenverständigung zu ziehen, ist Sache des Finanzamts. Diese Abkopplung unterscheidet die tV von einem Vergleich und macht sie so streitanfällig. Es kommt immer wieder vor, daß im Rahmen einer Betriebsprüfung (BP) eine tV über streitige Tatsachen zustande kommt und die Folge-BP sich darauf beruft, daß sich ja die tV auf Tatsachen beziehen würde und die Folge-BP frei wäre, andere rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Gerade der Bereich der verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) ist für dieses Spiel ein beliebtes Spielfeld. Wurde im Rahmen einer BP eine tV geschlossen, derzufolge z.B. bestimmte Bilanzpositionen nicht auf einer  vGA beruhen, kommt zuweilen die Folge-BP mit der Auffassung daher, dies in den Folgejahren als vGA zu behandeln.

Dagegen kann man sich eigentlich nur dadurch wappnen, daß man die tV möglichst konkret und ausführlich formuliert und hierbei auch die rechtlichen Erwägungen einfließen läßt, die zur tV führten. Und man sollte tunlichst vor jeder tV die beiden Schreiben des Bundesfinanzministeriums zum Thema tV lesen: BMF vom 30.07.2008 und vom 15.04.2019.

Daß eine gut formulierte tV helfen kann, zeigt ein jüngst vor dem FG Münster ergangenes Urteil (Urteil v. 16.5.2019, 5 K 1303/18) : Hier war eine tatsächliche Verständigung wegen erheblicher Mängel in der Buch- und Kassenführung geschlossen worden. Nach Meinung des FG umfaßt diese sowohl die Schätzung von Mehrumsätzen als auch die Berücksichtigung von Umsätzen, die sich aus in der Buchführung nicht erfaßten, auf den Bankkonten vereinnahmten Entgelten ergibt. Das Finanzamt hatte zuvor versucht, nach Abschluß der tV zusätzliche unklare Bankbewegungen zu Einnahmen zu erklären.

 

Ledig muß man sein

 

Als Freiberufler oder Selbständiger den Ehegatten oder Lebenspartner im Unternehmen zu beschäftigen, grenzt nach Meinung der Finanzverwaltung per se hart an die Grenze der Steuerhinterziehung. Die Rechtsprechung hat zu diesem Lied schon etliche Strophen mitgesungen. Das Finanzgericht Münster hat jüngst (Urteil vom 14.05.2019, Az. 2 K 2355/18) den erfolgreichen Versuch unternommen, die Verwaltung in fiskalischer Betrachung des Themas noch zu überholen. Es hatte über folgenden Fall zu entscheiden: Ein Steuerberater und WP betrieb auf internationalen Kongressen Netzwerkpflege. Auf diesen Reisen wurde er regelmäßig von seiner Ehefrau begleitet, die ihn bei der Kontaktpflege unterstützte. Die Tagungen fanden durchweg an Orten statt, die man auch touristisch gerne aufsucht. Die Betriebsprüfung beim Kläger hat die Reisekosten ingesamt großteils zu Privatvergnügen erklärt. Soweit es den Kläger selbst betraf, hat dies das Finanzgericht immerhin etwas eingehegt. Bei der Ehefrau kannte das Gericht allerdings kein Erbarmen. Das Gericht räumte zwar ein, "dass dem Kläger an der Menschenkenntnis seiner Ehefrau und an der Einschätzung der Integrität und persönlichen Situation seiner potentiellen Geschäftspartner gelegen war", dies reiche aber nicht aus, eine betriebliche Veranlassung der Reisekosten der Ehefrau zu begründen. Die von FG gefundene Begründung stimmt dann aber mehr als bedenklich. Daß das Gericht immer wieder auf die touristische Eignung der besuchten Orte hinweist, mag man ja noch hinnehmen. Man ist als gemeiner Bürger dieses Landes schließlich daran gewöhnt, daß sich zwar Politiker rudelweise an touristisch völlig uninteressanten Plätzen wie Bali treffen, um den Klimawandel zu bejammern, ohne daß dies irgendjemand hinterfragt, daß dies aber für den Normalbürger noch lange nicht gilt. Richtig bedenklich wird das Urteil, wenn es zur Begleitung der Ehefrau ausführt:  "Diese Unterstützungsleistung ging aber nicht über das Maß hinaus, das § 1353 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von allen Eheleuten als gegenseitigen Beistand und Unterstützung verlangt." Den Satz muß man erst einmal sacken lassen. Hier wird die Tatsache, daß das BGB die Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft ansieht, als steuerliches Argument mißbraucht. Das ist nicht nur die Umkehrung des in Art.6 GG postulierten Gebotes des Schutzes von Ehe und Familie, es ist Fiskalrechtsprechung vom Allerfeinsten. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung diese Steilvorlage aufnimmt und künftig alle Verträge zwischen Ehegatten darauf überprüft, ob nicht womöglich nur Aufgaben übernommen werden, die man unter die eheliche Beistandspflicht subsummieren kann. Es zwingt auf jeden Fall die Betroffenenen, noch nachhaltiger zu dokumentieren, welche Pflichten der Ehegatte wahrnimmt, damit das Überschreiten des "Eheüblichen" nachgewiesen werden kann.

 

Scheinselbständigkeit oder doch "Ich-AG"

 

Man erinnert sich gern an die Zeit, als die sog. "Ich-AG" von der Politik als das Mittel der Wahl, gegen die seinerzeit noch recht hohe Arbeitslosenquote, lautstark propagiert wurde. Wie immer, wenn Politiker in besonderem Maße die Werbetrommel rühren, ist Vorsicht angebracht. So auch hier. Jedenfalls wurden in der Folge viele der tollen Ich-AGs flugs zu Scheinselbständigen erklärt, mit der Folge, daß man die Auftraggeber der Ich-AGs mit Sozialversicherungsbeiträgen überziehen konnte. Ich gestehe, den Unterschied zwischen einer "Ich-AG" und einer "Scheinselbständigkeit" habe ich nie so richtig begriffen. Liegt vermutlich daran, daß die fiskalische Lesart von Gesetzen mit meinem Verständnis von Rechtsstaat kollidiert.

Irgendwie war mir aber in Erinnerung, daß die Scheinselbständigkeit jedenfalls dann nicht gegeben sei, falls der selbständig Tätige für eine Mehrzahl von Auftraggebern tätig sei. Daß man mit genügend richterlichem Mut zur fiskalischen Dehnung des gesetzlichen Regelung, selbst diese Voraussetzung ignorieren kann, zeigt ein jüngst ergangenes Urteil des Sozialgerichts Dortmund (Urteil vom 11.03.2019, Az. S 34 BA 64/18). Eine freiberufliche Lohnbuchhalterin war für eine Anzahl von Kunden tätig. Einer dieser Kunden verfügte über ein eigenes Lohnbuchhaltungssystem. Die Lohnbuchhalterin arbeitete daher in dessen Betrieb an seinem EDV-System. An die betrieblichen Arbeitszeiten war sie nicht gebunden; Miete zahlte sie auch nicht. Klingt ja recht sinnvoll, sollte man meinen. Warum soll eine Dienstleisterin ihre Dienst nicht vor Ort mit der EDV des Kunden erbringen? Das Sozialgericht Dortmund machte hieraus jedenfalls flugs eine Scheinselbständigkeit und half dem "Arbeitgeber" mit den Sozialversicherungsbeiträgen über. Sie sei ja quasi in die Arbeitsorganisation des Kunden eingebunden. Insbesondere habe sie seine Arbeitsmittel genutzt. Daß sie keine Einzelanweisungen erhalten habe, sei ja nicht ungewöhnlich bei Diensten höherer Art. Im übrigen habe sie kein Kapital eingesetzt und kein unternehmerisches Risiko getragen. Und daß sie noch eine Reihe anderer Kunden gehabt habe, sei ohne Belang.

Dem Blödsinn, daß man in diesem Land keine Urteilsschelte üben soll, folge ich hier nur aus Platzgründen. Jeder Unternehmer kann aus diesem – rechtskräftigen – Urteil seine eigenen Konsequenzen ziehen. Und man sollte bedenken, daß die Grenzen der Scheinselbständigkeit durchaus noch weiter ziehbar sind. Vor etlichen Jahren habe ich vor dem FG Niedersachsen ein Urteil erstritten, nach dem die frei im Lande umherziehenden Fleischzerleger, die heute in Berlin und morgen in München Fleisch zerlegen, Arbeitnehmer des Schlachthofes sind.Hat zwar meinem Mandanten geholfen, wirklich überzeugt hat es mich aber nicht. 

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